Künstliche Intelligenz (KI) – schleichende Revolution in der Finanzbranche

Warum blieb der Siegeszug der KI in der Finanzbranche bisher aus?
Häufig genannte «Ausreden» in der Debatte um einen KI-Einsatz und warum diese eine Chance bieten können


1. Es fehlt ein konkreter Anwendungsbedarf für künstliche Intelligenz

Tatsächlich ist die Idee einer KI insbesondere für nicht-technische Fachbereiche und Management oft abstrakt und nur schwierig auf ein konkretes Anwendungsbeispiel festzulegen. Ein Grund dafür ist sicherlich ein Bias der uns bekannten KI, welche vornehmlich auf die Imitation menschlicher Interaktionen abzielt wie z.B. Natural Language Processing. Eine intelligente Automatisierung birgt in der Finanzbranche allerdings unzählige Optimierungsmöglichkeiten auf analytischer und prozessualer Ebene, deren Anwendung detailliertes Fachwissen erfordert und schon in der Initiierungsphase auf die massgebliche Unterstützung einzelner Fachbereiche angewiesen sind.

Die Frage nach einem konkreten Bedarf an intelligenter Automatisierung ist deshalb kein Grundsatzentscheid für oder gegen eine KI, sondern vielmehr die kritische Hinterfragung bestehender Prozesse durch oder unter Mithilfe von Fachbereichen zwecks Prozessoptimierung. Der Schlüssel zum Erfolg ist hier das Bewusstsein, dass KI allein keine Problemstellungen lösen wird. Sie bleibt ein Werkzeug, das zur Prozessoptimierung innerhalb der programmierten «Leitplanken» beiträgt, während die Interpretation des Outputs sowie die daraus abgeleitete Massnahmen weiterhin in der Verantwortung des Menschen liegen. Die Funktion einer KI lässt sich am Beispiel eines Lawinensuchhunds veranschaulichen, der im Rahmen seines vom Menschen bestimmten Lebensumfelds mehr oder weniger intelligente, autonome Entscheidungen trifft. Ein Hund hat ausserdem einen Geruchssinn, der dem des Menschen weit überlegen ist. Trotz seiner überlegenen Geruchsfähigkeit kann der Lawinensuchhund diese nur nach ausgiebigem Training zur Suche nach Verschütteten einsetzen. Der Hund wird ausserdem weder eigenständig auf die Meldung eines Lawinenabgangs reagieren, noch wird er den Suchradius selbst definieren. Er muss vom Menschen angeleitet werden und gibt lediglich ein Zeichen durch Graben oder Bellen, wo sein menschlicher Begleiter Verschüttete bergen kann.

2. Ein Frage der Governance – KI-Projekte sind zu komplex oder passen nicht zum Unternehmen

Im Gegensatz zu standardisierten IT-Systemen gibt es keine «off-the-shelf» KI-Lösungen. Der effektive Einsatz künstlicher Intelligenz bedingt eine zweckgebundene Entwicklung von Algorithmen, welche spezifisch auf den Bedarf des jeweiligen Unternehmens abgestimmt werden muss. In der Regel reicht für diese interdisziplinäre Aufgabe das übliche Projektmanagement für IT-Implementierungen nicht aus, da KI-Implementierungen eine stärkere Kooperation zwischen Fachbereichen, IT und ggf. weiteren Spezialisten bedingt. Grundlegend wird für die KI-Entwicklung zwischen «Kontext-Kompetenz» des Fachbereichs (dem qualitativen Wissen darüber, was die KI bewirken soll) und «KI-Kompetenz» (der technischen Umsetzung) unterschieden. Diese Kompetenzbereiche werden häufig und je nach Bedarf durch Computerwissenschaftler, Mathematiker oder Statistiker sowie das Risikomanagement ergänzt.

Für die erfolgreiche Umsetzung eines KI-Projekts ist deshalb die Anpassung der Governancestruktur und Prozessabläufe unter Berücksichtigung eines verstärkten Risikomanagements und die Sicherstellung der erforderlichen Kompetenzen im Projektteam unabdingbar. Losgelöst von künstlicher Intelligenz bleiben diese Anforderungen für Finanzinstitute relevant: Ist die Governance rigide, eindeutig und gleichzeitig flexibel genug, um unterschiedlichste Fachbereiche gleichermassen zu leiten und eine interdisziplinäre Projektarbeit zu unterstützen? Stellt die Unternehmung die nötigen organisatorischen, technischen und finanziellen Strukturen zur Abwicklung von interdisziplinären Projekten in angemessener Weise zur Verfügung?

3. Human Resources und die Sorge, durch automatisierte Abläufe ersetzt zu werden

Es wäre vermessen zu behaupten, dass KI keinen Einfluss auf die Struktur unserer Berufe haben wird. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz wird allerdings der Bedarf an menschlicher Leistung nicht verringert, sondern verlagert. Die Verbreitung des Automobils hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen sinkenden Bedarf an Hufschmieden zur Folge, erschuf aber Berufe wie den Tankwart oder den Automobilmechaniker. Eine Kutschensattlerei hingegen konnte mit einer Anpassung ihrer Produkte ebenso die Automobilbranche beliefern. Trotz sämtlicher Veränderungen hatte sich der Zweck des Produkts, Personen und Güter zu transportieren, von der Kutsche hin zum Automobil nicht verändert. KI wird in ähnlicher Weise ausgewählte Prozesse effizienter, günstiger, zielgerichteter und weniger fehlerhaft ausführen als der Mensch dies könnte. Wer diese Prozesse zuvor manuell durchgeführt hat, kann ersparte Zeit anders nutzen, indem sich der menschliche Zeitaufwand vom Datenaufarbeiten und -bereinigen zu Analyse, Interpretation und Schlussfolgerung verlagert: Die Transaktionsüberwachung könnte durch Verringerung von «false positives» den Fokus auf relevante Meldungen legen, KYC-Prozesse können teilautomatisiert und die Compliance so bei Kontrollprozessen entlastet werden. Auch IKS-Kontrollen und deren Berichterstattung können in Echtzeit durch intelligente Automatismen ausgeführt und so die Sicherheit und Relevanz der Ergebnisse signifikant gesteigert sowie messbarer gemacht werden.

Finanzunternehmen werden sich im Rahmen der technologischen Entwicklungen mittelfristig mit einem sich verändernden Bedarf an Fachkräften auseinandersetzen müssen um konkurrenzfähig zu bleiben. Dabei spielen nicht nur Rotationen in der Belegschaft, sondern vor allem die Aus- und Weiterbildung bestehender Fachkräfte eine grosse Rolle. Nicht alle heutigen Mitarbeiter werden in dem neuen KI- und Kontext-Kompetenzgefüge ihren Platz finden. Allerdings werden in den nächsten Jahren auch verschiedentlich neue Tätigkeitsbereiche geschaffen, wie beispielsweise die Wartung ebendieser intelligenten Systeme oder im Zusammenhang mit Schnittstellen zwischen IT und Fachbereichen. Diese Entwicklung findet unvermeidbar, aber nicht über Nacht statt. So kann eine Bedarfsanalyse zum Einsatz künstlicher Intelligenz stellvertretend die strategischen Überlegungen in dieser Hinsicht fördern.

4. Digitalisierung als Grundlage für KI

Eine intelligente Automatisierung erfüllt nur dann ihren Zweck, wenn die dafür nötigen Informationen zur Verfügung stehen. Grundsätzlich gilt bei der Implementierung von KI der berühmte Hinweis, nicht den zweiten Schritt vor dem Ersten zu gehen. Eine solide Grundlage an (digitalisierten) Daten muss vorhanden sein, um eine KI zu «füttern» und sinnvoll nutzen zu können. Sollte dies nicht ausreichend der Fall sein, bietet es sich an, den Digitalisierungsgrad sowie die Qualität von Datenverarbeitung und -speicherung bereichsübergreifend zu analysieren. Es liegt in der Natur einer Unternehmensstruktur, dass innerhalb eines Instituts teils gravierende Unterschiede in Digitalisierungsgrad und -fähigkeit im Umgang mit Informationen zwischen verschiedenen Abteilungen bestehen. Letztlich ist aber bei interdisziplinären Prozessen - und so auch beim Einsatz einer KI - die Qualität und das Resultat nur so verlässlich wie der schwächste Akteur bzw. Fachbereich in der Prozesskette. Eine Analyse und der fortlaufende Einsatz eines «Automation Maturity Models» oder «Digitization Maturity Models» kann helfen, den Anpassungsbedarf der Organisation, Governance und Dokumentation, den Standardisierungsgrad und den Verbesserungsbedarf der Datenqualität zu identifizieren.
 

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08.04.2021




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