gwp Monthly - Juni 2020

Anlegerschutz vs. Einlegerschutz

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

 

Die fiktive Ausgangslage

Erich Müller, Bäckermeister und Präsident des örtlichen Curlingvereins, erbt von seiner Tante CHF 1 Million. Von dieser Tatsache überrascht, beschliesst Erich CHF 600'000 zu investieren und die restlichen CHF 400'000 als Barguthaben bei einer Bank einzuzahlen. Zu diesem Zweck zahlt er die CHF 400'000 bei der «Solid Bank AG» ein. Für die Investition nimmt er Kontakt mit der «Ehrlich Capital Invest AG» auf, einer Vermögensverwalterin und Anlageberaterin, die Erich nach einem kurzen Gespräch dazu bewegt, CHF 550'000 in ein strukturiertes Produkt mit einem Basket aus fünf Industrietiteln aus den Emerging Markets zu investieren. Das strukturierte Produkt wird auf ein Depot bei der Solid Bank AG gebucht.

Das Ereignis

Es kommt, wie es kommen musste. Aufgrund der weltweiten Covid-19-Welle führten die Länder der Emerging Markets einschneidende Schutzmassnahmen und einen «Lockdown» ein. Dies führte zu Verwerfungen an den Börsen und einem Wertzerfall bei den Industrietiteln, aus welchen der Basket bestand. Erich hat mit der Anlage aktuell einen grossen, ja beinahe einen Totalverlust erlitten. Die Ehrlich Capital Invest AG hat er seit Tagen telefonisch nicht erreichen können.

Zum Glück, so dachte Erich, habe ich nicht alles investiert, sondern CHF 400'000 als Barguthaben bei der Solid Bank AG einbezahlt. Umso konsternierter war Erich, als er in der Zeitung las, dass die Solid Bank AG aufgrund von Kreditausfällen ihrer grossen Geschäftskunden in Zahlungsschwierigkeiten geraten sei.

Verunsichert und verärgert über diese Ereignisse versucht sich Erich bei einem Glas Wein abzulenken. Ihm bleibt, so Erich, nur noch zu hoffen, dass dennoch alles gut werden wird. Aber Erich bleibt nicht nur die Hoffnung.

Der Anlegerschutz

Die Regulierungsvorhaben der letzten Jahre hatten unter anderem Anleger wie Erich vor Augen. Mit MiFID II in der EU/EWR und FIDLEG in der Schweiz fanden Normen Eingang in die Rechtsordnungen, die Personen, welche in ein Finanzinstrument investieren oder eine Finanzdienstleistung beziehen (Anleger) vor einem unsachgemässen und intransparenten Vertrieb von Anlageinstrumenten oder -dienstleistungen durch ein Finanzinstitut schützen und wohlinformierte Anlageentscheide durch Anleger ermöglichen sollen.

Der Einlegerschutz

Erich hat Barguthaben auf ein Konto bei der Solid Bank AG einbezahlt und gilt daher als Einleger. Die Regulierung nimmt sich auch Erichs Sorgen hinsichtlich seiner Bareinlagen als Einleger an.

Das System der Einlagensicherung soll Erich für den Fall, dass die Solid Bank AG in eine Rückzahlungsschwierigkeit oder gar -unmöglichkeit gerät, bis zu einem bestimmten Betrag schützen. Dieser Schutz ist notwendig, weil die von Erich einbezahlten CHF 400'000 eine Forderung gegen die Solid Bank AG darstellen, die in einem Konkursfall in die dritte Konkursklasse fallen würde. Dies mit der Konsequenz, dass sich Einleger oft mit einer Konkursdividende zufriedengeben müssten, die bloss einen Bruchteil der ursprünglichen Forderung ausmacht.

Im Gegensatz dazu sind Anlageinstrumente in Depots Vermögenswerte, die in einem Konkursfall aussonderbar sind, also aus der Konkursmasse herausgenommen und deren Eigentümern übergeben werden. Aufgrund dieses Aussonderungsrechtes ist die Einlagensicherung auf Bargutgaben auf Konti beschränkt.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Anleger- und Einlegerschutz sind akustisch und inhaltlich verwandte Begriffe. Beide Begriffe bezwecken den Vermögensschutz einer Person, die mit einem Finanzinstitut interagiert - jeweils aus einer anderen Perspektive:

Der Anlegerschutz bezweckt den Schutz des Vermögens einer Person, die in ein Anlageinstrument investiert. Diese Person – der Anleger - soll primär vor einem unsachgemässen und intransparenten Vertrieb von Anlageinstrumenten oder -dienstleistungen durch ein Finanzinstitut geschützt werden und einen wohlinformierten Anlageentscheid fällen können. Um dieses Ziel zu erreichen, greift der Anlegerschutz als Korrektiv in die liberale Ordnung einer Marktwirtschaft bzw. in die Steuerungsfunktion des Marktes und der Vertragsfreiheit der Marktteilnehmer ein und auferlegt den Finanzinstituten gewisse Verhaltenspflichten.

Der Anlegerschutz dient dadurch dem Ansehen und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz, indem er das Vertrauen der Kunden in die Handlungen von Finanzinstituten in der Schweiz stärkt.

Der Einlegerschutz ist enger gefasst, dadurch aber keineswegs weniger wichtig: Die Regelungen zum Einlegerschutz sind nicht für den Geschäftsverkehr mit allen Finanzinstituten, sondern nur in Bezug auf Banken und Effektenhändler/Wertpapierhäuser relevant. Sodann soll nicht das Vermögen eines in Anlageinstrumente investierenden Kunden geschützt werden, sondern mittels der Einlagensicherung die bei einer Bank einbezahlten (bis zu einem bestimmten Maximalbetrag) und somit gerade nicht in Anlageinstrumente investierten Barbeträge. Dies für den Fall, dass die jeweilige Bank in eine Rückzahlungsschwierigkeit oder gar -unmöglichkeit gerät; sei es aufgrund selbst zu verantwortender Faktoren oder Drittfaktoren wie beispielsweise einem «Bank Run».

Die Einlagensicherung greift dabei nicht als Korrektiv in die Vertragsfreiheit zwischen Kunde und Bank ein. Sie verpflichtet vielmehr Banken und Wertpapierhäuser am genannten Sicherungssystem teilzunehmen und einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Damit dient die Einlagensicherung ebenfalls dem Ansehen und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz, indem sie das Vertrauen in die finanzielle Stabilität der Schweizer Banken stärkt.

Neueste Entwicklungen im Einlegerschutz

Im Fokus der jüngsten Regulierungsvorhaben stand der Anlegerschutz, der mit dem FIDLEG sowie FINIG eine eigenständige Kodifizierung erhalten hat. Das Thema Einlagensicherung hingegen stand in letzter Zeit nicht derart prominent im Rampenlicht. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass die Einlagensicherung schon länger im Bankengesetz verankert ist. Sodann ist denkbar, dass eine Zahlungsunfähigkeit einer Schweizer Bank in der Wahrnehmung der Bankkunden bloss von theoretischer Natur ist und die Erinnerung an das Jahr 2008 mittlerweile etwas verblasst ist.

Doch diese Wahrnehmung kann trügerisch sein. Aufdeckungen von Geldwäschereifällen und entsprechende Sanktionen, mögliche Kreditausfälle von Geschäftskunden, das Eindringen von Technologieunternehmen in den Markt, weiterhin sehr tiefe Zinsen und die generelle Verunsicherung auf den Märkten zeigen beispielhaft, dass der Druck auf die Banken nach wie vor steigt und die Frage nach deren Stabilität berechtigt ist.

Hierzu passt, dass die Einlagensicherung zurzeit revidiert wird. Gemäss Revisionsentwurf sollen die Banken dazu verpflichtet werden, im Sinne einer prophylaktischen Vorbereitung neue Prozesse für den Fall einer Bankschliessung zu definieren und eine Liste all ihrer Einleger zu führen. Weiter sollen die durch die Einlagensicherung gedeckten Beträge vom Liquidator der Bank neu innert sieben Arbeitstagen an die berechtigten Einleger ausbezahlt werden. Die individuelle Beitragsverpflichtung der Banken soll zudem neu zu 50% in Form von leicht verwertbaren Wertschriften von hoher Qualität oder in Schweizer Franken bar bei einer Drittverwahrungsstelle dauernd und sicher hinterlegt, statt in Form von Zusatzliquidität gehalten werden.

Schliesslich soll die gesamte Beitragspflicht aller der Einlagensicherung angeschlossenen Institute dynamisch an die Summe aller gesicherten Einlagen angepasst werden. Um dies zu erreichen, soll die Gesamtbeitragspflicht des Bankensystems neu 1.6% aller gesicherten Einlagen betragen. Der heute geltende Betrag von CHF 6 Milliarden soll dabei aber nicht unterschritten werden.

Fazit

Sowohl der Anleger- als auch der Einlegerschutz sollen das Vertrauen der Kunden in Finanzinstitute bzw. Banken oder Wertpapierhäuser stärken.

Der Anlegerschutz zielt dabei nicht auf einen Vermögenserhalt des Anlegers, wohl aber auf transparente und angemessene Handlungen der Finanzinstitute, wobei das Anlagerisiko vom Anleger zu tragen ist. Der Einlegerschutz wiederum auferlegt den Banken keine Verhaltenspflichten, zielt aber auf einen (teilweisen) Vermögenserhalt in Falle eines Konkurses ab.

Für Erich hat sich das Blatt wieder zum Guten gewendet: Die Berichte über die Solid Bank AG haben sich als «fake news» erwiesen und auch sein Anlageprodukt hat sich wieder erholt. Dennoch können die erwähnten Massnahmen des Anleger- und Einlegerschutzes aus der Optik von Erich nur Mindeststandards sein. Denn der Finanzplatz wird sich das Vertrauen von Erich für weitere Investitionen mit einer guten Anlageperformance sowie kundenorientierten und effizienten Bankdienstleistungen erarbeiten müssen.

01.06.2020




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